Laudatio am 05.11.99 in Merzig in der Fellenbergmühle
Es geht um Kunst am Bau,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
oder um die Frage, was hat ein Fußabstreifer mit einem Mosaikbild zu tun?
Zunächst einmal, wie sollen wir "Kunst am Bau" verstehen? Ich meine, "Kunst am Bau" ist eine künstlerische, ästhetische Ausschmückung eines Bauwerks, die dessen ursprüngliche Funktion nicht beeinflußt. Können wir uns darauf einigen?
Dann begleiten Sie mich bitte auf einen kurzen Streifzug durch die Geschichte, eine Zeitreise. Noch vor 10 oder 15 Tausend Jahren lebten die Menschen in Höhlen. Stellen Sie sich dieses Leben einmal vor. Ein Regenschauer peitscht durch den Höhleneingang. Der Boden ist aufgeweicht. Und weil unser Vorfahr Höhlenbewohner trotzdem hinaus muß, kommt er auf die Idee, am Bach Steine zu sammeln und mit einer Steinstreu den nassen Boden begehbar zu machen. Die Steine hatten für ihn eine Funktion zu erfüllen, sie waren ein solider Bodenbelag, über den er fast trockenen Fußes gehen konnte. Können wir ausschließen, daß der Urmensch mit der Zeit verschiedenfarbige Steine zu einem Muster fügte? Denn es sollte ja nicht nur zweckmäßig, sondern auch schön sein. Und damit hätten wir die ersten Mosaiken, vielleicht sogar lange bevor der Urmensch daran ging, seine Höhle mit den unvergeßlich schönen Wandmalereien zu schmücken. Denn die brauchten nur schön zu sein, nicht funktionell. Kunst am Bau.
Ich weiß, daß ich mich damit auf dem Glatteis der Spekulation bewege, denn für die Bodenmosaiken in Steinzeithöhlen gibt es nicht den geringsten Beweis. Aber: könnte es nicht tatsächlich so gewesen sein? Die Funktion kam vor der Dekoration. Nur, die Wandmalereien sind bis heute erhalten. Steine, lose auf dem Boden ausgelegt, überdauern kaum Jahrzehnte. Aber die Spekulation über diese künstlerische Gestaltung des Wohnbereiches läßt sich nicht so ohne weiteres von der Hand weisen.
Szenenwechsel. Vor etwa 5.000 Jahren ließ Pharao Zoser bei Sakkara die Stufenpyramide bauen. Es ist die älteste der uns bekannten Pyramiden in Ägypten. In dieser Pyramide befinden sich die ersten Spuren für die Verwendung keramischer Fliesen. Und diese Fliesen waren – das läßt sich aus den Spuren nachweisen – einfach mit Schnüren befestigt. Fliesen, also künstlicher Stein als Schmuck für die Grabkammer des toten Herrschers. Kunst am Bau.
Szenenwechsel. Fast zur gleichen Zeit in Mesopotamien, dem heutigen Irak. In der damals fast 50.000 Einwohner zählenden Stadt Uruk regierte der legendäre König Gilgamesch, den wir aus dem Gilgamesch-Epos kennen. Zu Ehren der Göttin Inina wurde in Uruk ein Tempel erbaut. Eine Besonderheit in diesem Tempel, die uns bei unserer Betrachtung interessiert, sind die Säulen. Sie sind nämlich rundum mit schwarzen und weißen, etwa 9 cm langen, konischen Stiften aus gebranntem Ton verziert. Demnach hätten wir hier das älteste – ich betone: uns bekannte – Bildmosaik, zudem aus keramischem Material. Kunst am Bau.
Szenenwechsel. Überspringen wir Zeit und Raum und nähern wir uns unserer Heimat. Zeit: vor etwa 2.000 Jahren. Spätestens beim Tod Cäsars im Jahre 52 v.Chr. war unsere Gegend römisches Gebiet. Trier wurde eine der vier Hauptstädte des Römischen Reiches. Irgendein reicher Römer - man vermutet, daß es ein hoher Beamter, vielleicht der Gouverneur dieses Bezirkes war - ließ sich am Ufer der Mosel bei Nennig eine Villa bauen. Sie war, wie man heute weiß, mit allerlei Luxus ausgestattet. Sie hatte bereits Wasserleitung und war auf eine Entfernung von ein paar hundert Metern ferngeheizt. Das Prunkstück jedoch muß die Eingangshalle gewesen sein, deren Boden mit einem 160 m² großen Mosaikbild geschmückt war. Das größte römische Mosaik nördlich der Alpen. Einzelheiten brauche ich wohl nicht zu schildern, denn sicherlich kennt jeder von Ihnen dieses Mosaik. Kunst am Bau.
Entdeckt wurde es rein zufällig um die Mitte des letzten Jahrhunderts. Ein Bauer wollte eine Rübenmiete ausheben, und dabei stieß er auf bunte Steine, die nicht zu seinem Acker gehörten. Er war klug genug, die Arbeit sofort einzustellen und den Landeskonservator zu benachrichtigen. Zutage kam dieses Prachtstück von Mosaikbild. Die Beschädigung war relativ gering, allerdings nicht reparierbar. Ein guter Restaurator kann aus Tonscherben wieder eine Vase zusammensetzen, aber er kann bunte Steine nicht mehr zu dem ursprünglichen Bild zusammenfügen.
Szenenwechsel. Während 1869 in Kairo unter den Klängen von Verdis Oper "Aida" der Suezkanal eingeweiht wurde, lief – weniger spektakulär - in Mettlach in der Mosaikfabrik die Produktion von überwiegend kleinformatigen Fliesen an, von Mosaik. In dieser Fabrik ist von Anfang an, seit der Restaurierung des Nenniger Mosaikbodens, ein Bildmosaikatelier beheimatet, dessen Arbeiten den Namen Mettlach wirklich in die gesamte Welt getragen haben.
Was geschieht dort? Mosaiksetzer, das sind Kunsthandwerker mit einem sicheren Gespür für Farben, Formen und Formate, gestalten nun das Bild nach dem Entwurf des Künstlers. Dazu werden Fliesen von Hand zerkleinert und die Bruchstücke, fast bis zur Größe eines Stecknadelkopfes, auf die Skizze aufgeklebt. Das fertige Bild wird dann in handliche Tafeln auseinander geschnitten. Dieses Verfahren ist möglich, solange Fliesen von gleicher Scherbenstärke verarbeitet werden. Das Anbringen des fertigen Bildes am Objekt verlangt das Geschick des erfahrenen Fliesenlegers. Eine Arbeitsteilung aus Kostengründen. Kunst am Bau.
Szenenwechsel. Anfang der fünfziger Jahre wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach ein bestimmter Prozentsatz der Herstellungskosten für die künstlerische Ausschmückung der öffentlichen Gebäude ausgegeben werden sollte. Also eine staatliche Förderung der Kunst am Bau.
Blütezeit waren vor allem die fünfziger und sechziger Jahre. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal diese Zeit: Die Nachkriegs-Freßwelle war abgeebbt, wir saßen zwischen Anbaumöbeln mit glatter Oberfläche am Nierentisch, neben der dreibeinigen Stehlampe. Aus dem Radio ertönten die Capri-Fischer oder die Florentinischen Nächte, die erste Reisewelle begann. Bevorzugtes Ziel war Italien. In der Gegenrichtung kamen die ersten italienischen Gastarbeiter. An einigen Wirtshäusern war ein Schild angebracht: Hier Fernsehen. Wird das Bild jener Zeit wieder lebendig?
Es war die Zeit des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg. Not und Angst waren für viele Menschen die Begleiter durch die Kriegsjahre. Es hat sich gezeigt, daß nach dem Ende des Krieges das Erlebte nicht sofort vergessen war. Es beeinflußte die Künstler noch viele Jahre danach in ihrem Schaffen.
In der Kunst dieser Jahre - und nicht nur hier - erkennen wir eine tiefe Gläubigkeit, die Überzeugung, daß nur Gott helfen kann. Das war für viele die einzige Hoffnung, der einzige Halt. Dieses christliche Gedankengut ist in die bildende Kunst jener Jahre eingeflossen.
Einer der bedeutenden Künstler dieser Epoche in unserer Region ist Albert Kettenhofen. Muß ich ihn vorstellen? Das hieße doch, offene Türen nach Athen tragen. Ich glaube, in Merzig und Umgebung kennt ihn jeder, der sich für Kunst interessiert. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er in den Nachkriegsjahren in Saarbrücken an der Kunstakademie.
Wir werden der Künstlerpersönlichkeit Albert Kettenhofen nicht gerecht, wenn wir ihn regional begrenzen. Er hat seine Bedeutung über die Landesgrenzen hinaus, wenngleich der Schwerpunkt seiner Arbeiten aus dieser Zeit und unter der Überschrift "Kunst am Bau" im Saarland zu finden ist.
Einen breiten Raum nehmen dabei, vor allem in unserer Region, die Bildmosaiken ein. Vielleicht hat man hier ein besonderes Verhältnis zu dieser Kunstgattung: Bilder, geschaffen aus Keramik als Malerei mit anderen Materialien und geschaffen für die Ewigkeit. Aber – und das belegt diese Ausstellung – auch viele Metallarbeiten gehören zum Werk von Albert Kettenhofen.
Auf Wunsch seiner Auftraggeber, das waren vor allem Kommunen und Kirchen, schuf er vorwiegend christliche Motive an und in den Gebäuden, die damals errichtet wurden: Kirchen, Kindergärten, Schulen, Einsegnungshallen, Pfarrhäuser, aber auch Privathäuser. "Christus als Weltenrichter" war eines der beliebten Motive, oder die Hoffnung der Auferstehung. Kreuzwege und Altarkreuze wurde mit Mosaik gestaltet.
Beliebte Motive in Schulen: Franziskus predigt den Tieren, der gute Hirte umgeben von seinen Schafen, der Fährmann im Boot. In der Schule in Hilbringen ist ein großes zweiteiliges Bild: einerseits die Schule und was sie vermittelt und andererseits das berufliche Ziel, das zu erreichen ist. Am Giebel der Schule in Rehlingen ist die notwendige Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus dargestellt. Oder, hier ganz in der Nähe, der Platz bei der Kreuzkapelle. Ein Ort der Stille und der Meditation, gestaltet mit Mosaikbildern.
Soweit die Bilder vorgefertigt werden konnten, entstanden sie in dem bereits erwähnten Atelier in Mettlach. Wenn sie aber eine reliefierte Oberfläche haben sollten, weil nun der Künstler nicht nur Fliesen, sondern auch Marmor oder Glas verwendete, mußte er nun selber am Bau sein und nach seiner Idee die Steine in den frischen Mörtel einbringen.
Von seinen Metallarbeiten möchte ich erwähnen: die Darstellung der verschiedenen Berufe und der Handwerkersymbole an der Berufsschule in Merzig. Am Kriegerehrenmal in Rimlingen eine Sandsteinmauer mit drei metallenen Kreuzen. Oder die Madonna auf dem Federfels in Schwemlingen. Mit der Realisierung seiner Entwürfe hat Albert Kettenhofen qualifizierte Werkstätten beauftragt. Einige, vor allem Kupferarbeiten, hat er selbst ausgeführt. Dabei hat er eine Technik, die das Kupfer mit Hilfe von Grünspan innerhalb von wenigen Stunden um Jahre altern läßt.
Es liegt in der Natur des Themas "Kunst am Bau", daß die Objekte hier nicht im Original gezeigt werden können. Es handelt sich ja auch nicht um eine Kunstausstellung im üblichen Sinn, sondern um eine Dokumentation über "Dreißig Jahre Kunst am Bau". Die Originale sind immerhin großformatige Mosaikbilder, Metallplastiken, Fresken und Sgrafitti, denn auf all diesen Gebieten war Albert Kettenhofen tätig. Betrachten Sie deshalb diese Ausstellung viel mehr als Einladung, die erwähnten Arbeiten an Ort und Stelle im Original zu sehen. Wie heißt die Fernsehserie? Fahr doch mal hin. Wenn Sie sich dabei nur auf den Kreis Merzig-Wadern begrenzen, führt Sie Ihre Besuchsreise immerhin nach Ballern, Besseringen, Bethingen, Brotdorf, Büdingen, Büschfeld, Hilbringen, Merzig, Mettlach, Nunkirchen, Rimlingen, Schwemlingen. Und bei dieser Aufzählung habe ich bestimmt noch einige vergessen.
Nun, die Blütezeit der "Kunst am Bau" liegt hinter uns. Die Baukonjunktur ist stark im Abklingen begriffen, der Bedarf an öffentlichen Gebäuden ist gedeckt. Ich habe des öfteren von Besuchern im Bildmosaikatelier in Mettlach die Bemerkung gehört: "Ah, hier wird die Dekoration der Kirchen vorbereitet." Als wenn Mosaikbilder nur für Kirchen geschaffen würden. Ich konnte mir dabei nie die Bemerkung verkneifen: "Wann haben Sie zum letzten Mal den Bau einer Kirche gesehen?" Es werden keine Kirchen mehr gebaut, im Gegenteil, die vorhandenen erweisen sich inzwischen als zu groß. Das Geld, das für die "Kunst am Bau" fließt, wird spärlicher.
Hinter uns liegt auch der Geist der fünfziger Jahre. Mit zunehmendem Wohlstand trat dieses christlich geprägte Gedankengut wieder mehr in den Hintergrund. Die Not geriet in Vergessenheit und damit auch die gläubige Hoffnung der Menschen auf ein besseres Jenseits. Die nachfolgenden Generationen konnten das Erleben der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr nachempfinden und entwickelten ein anderes Kunstverständnis. Sie erwarten andere Ausdrucksweisen in der bildenden Kunst.
Die sich in immer kürzeren Rhythmen vordrängenden und sich fast überschlagenden "–ismen" der modernen Kunst haben für mich nicht mehr die Gemütstiefe wie die Kunst aus der beginnenden zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Ich habe einen Hauch von Nostalgie empfunden, als ich die hier ausgestellten Arbeiten von Albert Kettenhofen wieder angesehen habe. Ihnen wünsche ich die gleiche Freude damit.